27. Juli 2023 08:00

Social-Media-Zensur Muss der Staat „Fake News“ und „Hate Speech“ unterbinden?

Es droht die Gefahr des Machtmissbrauchs

von Olivier Kessler

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Bildquelle: Dilok Klaisataporn / Shutterstock Wahrheit oder „Fake News“: Wer entscheidet darüber?

Im heutigen Internetzeitalter wimmelt es nur so von „Fake News“. Es brauche dementsprechend – so der verständliche Wunsch – unbedingt einen zuverlässigen Akteur, der diesem Trend trotze. Auf diesen sollen sich die Bürger verlassen können. Wenn er etwas verkündet, dann sollen die Menschen dies nicht in Zweifel ziehen müssen, weil es eben die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist: Und dieser Akteur sei – so der allgemeine Tenor – der Staat oder der staatlich finanzierte Rundfunk.

Wer glaubt, „Fake News“ und „Hate Speech“ könnten objektiv und neutral durch staatliche Eingriffe oder durch ein staatsfinanziertes Medium verbannt werden, verkennt, dass der Staat keine Anstalt ist, in der ausschließlich Heilige und Wahrheitssuchende arbeiten.

Wenn dem Staat die Macht verliehen wird, darüber zu richten, welche Nachrichten nun als „Fake News“ oder „Hate Speech“ abzuqualifizieren sind und welche nicht – in anderen Worten: wenn Politiker abschließend darüber bestimmen dürfen, was nun wahr oder unwahr ist; was gesagt werden darf und was nicht –, besteht die große Gefahr des Machtmissbrauchs. Wer kann dann garantieren, dass Nachrichten und Kommentare nicht willkürlich und den Interessen der Regierenden entsprechend manipuliert werden? Ein Überwachungsorgan? Vielleicht. Aber wer überwacht dann die Überwacher?

So besteht durchaus die Gefahr, dass unliebsame, aber wahrheitsgetreue Meldungen als „Fake News“ und mainstreamkritische Kommentare als „Hate Speech“ abqualifiziert und verbannt werden. Gleichzeitig könnten tatsächliche „Fake News“ als Wahrheit verkauft werden. Die Geschichte hat dies immer und immer wieder gezeigt.

Die politische Definition von Wahrheit ist ein typisches Merkmal von Diktaturen. Dennoch ist staatliche Propaganda auch ein bekanntes Mittel demokratischer Staaten. Die Kosten der Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesverwaltung beliefen sich 2018 bereits auf 84,3 Millionen Franken. 319 Vollzeitstellen beschäftigten sich in der Schweiz in den sieben Departementen und in der Bundeskanzlei mit „Information und PR“.

Erfahrungsgemäß haben politische Entscheide meist wenig mit Objektivität und Wissenschaftlichkeit zu tun. Dennoch wird gerade die offizielle politische Sprache oft unkritisch von berichterstattenden Medien übernommen, oder medialen Nachrichten wird nur ein Wert beigemessen, wenn sie von den Amtsinhabern verkündet werden.

Die Überzeugung, der Staat oder der staatlich finanzierte Rundfunk versorge die Bürger mit nichts als der Wahrheit, ist nicht nur reichlich naiv, sondern auch gefährlich. Durch diese eingebildete Wahrheits-Garantie entsteht eine kritiklose Aufnahme von News-Häppchen, die oftmals verkappte Staatspropaganda sind.

Vielmehr ist es eine Tugend aller Bürger, gegenüber jeglicher medialen Berichterstattung kritisch eingestellt zu bleiben. Es gibt keine Wahrheits-Garantien: bei alternativen und traditionellen Medien nicht, aber auch nicht beim staatlichen Rundfunk. Um es in den Worten des Politikwissenschaftlers Thomas Mayer zu formulieren: „Wer nicht darauf achtet, was vergrößert wird und was verkleinert, was verzerrt wird, worauf Aufmerksamkeit gerichtet wird, und über welche Themen er nur hinweghastet, weiß am Ende nichts Verlässliches von der Welt und meint doch, informiert zu sein.“

Die Bürger sind mitnichten per se hilflose Wesen, die ohne staatliche Lenkung der Nachrichtenströme auf jegliche „Fake News“ hineinfallen würden. Es soll daher ihnen überlassen sein, was sie sehen, hören oder lesen wollen. Sie sollen abwägen, welchen Quellen sie aus welchen Gründen eher vertrauen und welche Nachrichten sie als glaubwürdig oder fehlerhaft einstufen.

Anstatt die Bürger zu behüten wie Kleinkinder, die den noch so absurdesten Märchen blind Glauben schenken, sollte man sie lieber dem freien Markt aus konkurrierenden Meinungen aussetzen. Dort vermag sich eine kritische Medienkompetenz viel eher herausbilden als unter paternalistischen Vorzeichen.

Hat sich eine solche Medienkompetenz unter den Bürgern erst einmal entwickelt, kann es die Gesellschaft durchaus auch vertragen, wenn ab und zu einmal fehlerhafte Meldungen auftauchen; denn „[g]edankenlose Beschuldigungen und grundlose Anklagen verlieren von allein ihr Gewicht, sie büßen ihre Glaubwürdigkeit ein und verschwinden einfach dadurch, dass die öffentliche Meinung sie zerredet und zerpflückt“. Diese Ansicht vertrat der Lausanner Staatstheoretiker Benjamin Constant und riet von staatlichen Interventionen in die Meinungsfreiheit ab.

Diese Theorie Constants wird auch von einer aktuellen Studie gestützt: Hunt Allcott von der Universität New York und Matthew Gentzkow von der Universität Stanford untersuchten im Zuge der US-Wahlen 2016, wie stark die Bürger tatsächlich auf „Fake-News“ hereingefallen sind. Die Teilnehmer der Studie wurden eine Woche nach den Wahlen gefragt, ob sie sich an 15 ausgewählte Schlagzeilen von wahren und falschen Nachrichten erinnerten. Sie wurden auch gefragt, ob sie diese damals für wahr hielten. Knapp 70 Prozent erinnerten sich an die wahren Nachrichten, wobei die große Mehrheit davon diese auch für wahr hielt. Gerade einmal 15 Prozent erinnerten sich an die unwahren Nachrichten: Glauben schenkten diesen aber nur acht Prozent aller Befragten. „Fake News“ sind also gar nicht das große Problem, zu welchem sie immer wieder aufgebauscht werden. Sie sind viel weniger wirkungsvoll als weitgehend angenommen.

Auch bei der staatlichen Zensur von „Hate Speech“ besteht die Gefahr, dass dieses Interventions-Instrument missbraucht wird, um unliebsame Meinungen zu verbannen und sogar unter Strafe zu stellen. Damit wird der so wichtige Wettbewerb der Meinungen, der öffentliche Diskurs und die Meinungsäußerungsfreiheit ausgehebelt.

Die Grenze zwischen „Hate Speech“ einerseits und einer berechtigten und nutzenstiftenden Kritik an politischen oder gesellschaftlichen Zuständen ist sehr schwammig. Wer sich tatsächlich schuldig macht, intolerante und menschenverachtende Meinungen zu äußern, wird bereits heute von der Gesellschaft geächtet und ausgegrenzt, sodass hier ein Eingreifen des Staates überflüssig ist. Ankündigungen und Aufrufe zu Gewalt sind bereits unter Strafe gestellt und können auch ohne zusätzliche Gesetze gegen „Hate Speech“ wirkungsvoll geahndet werden. Im Sinne einer offenen und freien Gesellschaft gilt es deshalb, auf solche Gesetze zu verzichten.


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