09. September 2023 13:00

Ökonomie Das Spiel mit der amtlichen Inflationsstatistik

Wie die Preissteigerungsraten geschönt werden

von Karl-Friedrich Israel

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Bildquelle: Shutterstock Seit Jahren stetig steigend: Inflation

Der harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) besteht aus 12 Teilindizes, die entsprechend ihren Anteilen an den Gesamtausgaben der Haushalte gewichtet werden. Wenn im Durchschnitt 15 Prozent der Ausgaben auf Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke entfallen (Teilindex eins), so sollen diese im Gesamtindex auch ein Gewicht von 15 Prozent erhalten. Auf diese Weise käme jeder Ausgabenkategorie bei der berechneten Durchschnittsinflation die Bedeutung zu, die sie für einen durchschnittlichen Haushalt hat. Das ist der Anspruch der amtlichen Statistik. Aber Anspruch und Wirklichkeit gehen auch hier wie so oft auseinander.

In Deutschland betrifft der traditionell größte Teilindex den Bereich Wohnung, Wasser, Elektrizität, Gas und andere Brennstoffe (Teilindex vier). Er hat seit Mitte der 1990er Jahre immer mehr als 21 Prozent des Gesamtindexes ausgemacht. Zwischen 2020 und 2022 war das Gewicht auf etwas mehr als 25 Prozent angestiegen. Die amtliche Statistik ging also davon aus, dass deutsche Haushalte im Durchschnitt etwa ein Viertel ihrer Gesamtausgaben für Güter dieser Kategorie aufwenden. Dies ist in den Augen einiger Kritiker zu wenig. Viele Haushalte geben anteilig deutlich mehr für Güter dieser Art aus. In großen Ballungsgebieten kommt es häufig vor, dass mehr als ein Drittel des Einkommens allein für die Miete aufgewendet wird.

Im Jahr 2023 gab es nun eine unerwartete Veränderung. Das Statistische Bundesamt hat die Gewichtung für den Teilindex vier nicht etwa erhöht, sondern von 25,2 Prozent im Vorjahr auf 16,5 Prozent heruntergesetzt. Eine stichhaltige Begründung dafür wurde bisher nicht geliefert. Auf der Internetseite des Statistischen Bundesamtes finden sich nur leere Phrasen: „Die seit dem Jahr 2020 vorherrschende Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen für das öffentliche Leben und den daraus resultierenden Folgen, macht auch im dritten Jahr in Folge eine Änderung des üblichen Vorgehens bei der Aktualisierung der Gütergewichte notwendig.“     

Wie soll man eine so unplausible Anpassung auch begründen? Inhaltlich bedeutet sie, dass die amtliche Statistik ab sofort davon ausgeht, dass der durchschnittliche deutsche Haushalt nur noch 16,5 Prozent der Gesamtausgaben für Wohnung, Wasser, Elektrizität, Gas und andere Brennstoffe aufwendet. Ob diese Annahme realistisch ist, kann jeder einmal für sich selbst überlegen.

Klar ist, dass der heruntergewichtete Teilindex vier schon seit längerem überdurchschnittliche Inflationsraten aufweist. Zwischen 1996 und 2022 ist er um 84 Prozent gestiegen, der HVPI insgesamt aber nur um 59 Prozent. Lediglich der Teilindex zwei für alkoholische Getränke, Tabakwaren, und Narkotika ist in dieser Zeit mit 115 Prozent noch stärker gestiegen.   

In der Hochinflationsphase des vergangenen Jahres sind die Preise für Wohnung, Wasser, Elektrizität, Gas und andere Brennstoffe von allen am stärksten gestiegen. Die Inflationsrate betrug hier 13,9 Prozent und lag damit mehr als fünf Prozentpunkte über der offiziellen Durchschnittsinflation. Dass man sich nun dazu entschließt, das Gewicht dieses Teilindexes herunterzusetzen, hat einen praktischen Effekt: Die offiziell gemessene Inflation wird niedriger ausfallen. Aber sie misst an der Realität vorbei.


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