30. September 2023 13:00

Ökonomie Vermögenspreisinflation und soziale Mobilität

Nicht die Marktwirtschaft, sondern die Geldpolitik sorgt für soziale Ungerechtigkeit

von Karl-Friedrich Israel

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Bildquelle: Karl-Friedrich Israel Trend seit dem Jahr 2010: Die Vermögen im Verhältnis zu den Einkommen steigen von Jahr zu Jahr

In den vergangenen Kolumnen habe ich gezeigt, dass die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank schon seit einigen Jahren mit einer überproportionalen Vermögenspreisinflation einhergeht. Diese gravierende Form der Inflation wird im Harmonisierten Verbraucherpreisindex aber nicht berücksichtigt und legt der Geldpolitik deshalb keine Schranken auf. Solange die Verbraucherpreise nicht zu schnell steigen, kann die Geldmenge ausgeweitet werden – den rasant steigenden Aktien- und Immobilienpreisen zum Trotz. Das hat weitreichende soziale Folgen, die man auch in Deutschland bereits beobachten kann.

Viele Kritiker des Kapitalismus verweisen auf die sozialen Verwerfungen, die das System hervorrufe. Kapitalismus führe zu einer ungerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen. Vielen Menschen sei es nicht möglich, innerhalb dieses Systems Teilhabe zu genießen. Sie würden abgehängt und verarmten innerhalb einer sonst wachsenden Volkswirtschaft.

Diese Diagnose trifft einen wahren Kern, wenn man unter dem Wort „Kapitalismus“ nichts weiter als eine Bezeichnung unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems versteht. Der Irrtum liegt darin, dass die Kritiker meinen, unser System käme einer Marktwirtschaft in Reinform gleich. Das ist nicht der Fall. Wir leben bestenfalls im politisch dominierten Staatskapitalismus, in dem Marktmechanismen zugelassen werden, wenn sie politischen Sonderinteressen nicht zu sehr im Wege stehen. Unser Wirtschaftssystem ist geprägt vom Staatsinterventionismus. Und in kaum einem Bereich wiegen die Interventionen schwerer als im Finanz- und Geldsystem.

Die unerwünschten Entwicklungen unserer Tage können deshalb nicht automatisch auf die Marktwirtschaft zurückgeführt werden. Die Ursachen der Probleme sind vielfach in der Politik verankert. Bei Fragen der Verteilung von Vermögen und der sozialen Mobilität steht es außer Frage, dass die geldpolitisch getriebene Vermögenspreisinflation eine entscheidende Rolle spielt.

Eine auf Inflation ausgelegte Geldpolitik – und sei es nur eine durchschnittliche Inflation von zwei Prozent – wird aus sich heraus die Anreize schaffen, die zu einer überproportionalen Vermögenspreisinflation führen. Jeder Mensch, der seine Ersparnisse sichern möchte, wird sich in einem inflationären Umfeld verstärkt nach Anlageformen umsehen, die vor Inflation schützen. Deshalb wird die Nachfrage nach Aktien und Immobilien als Anlageobjekte übermäßig zunehmen. Sie werden deshalb überproportional im Preis steigen. Die Verbraucherpreise und die Einkommen der Haushalte hinken hinter der Vermögenspreisinflation her.

Überproportionale Vermögenspreisinflation hat eine direkte Wirkung auf die Kluft zwischen Arm und Reich. Der Abstand zwischen vermögenden und unvermögenden Schichten der Gesellschaft wächst. Haushalte, die Aktien und Immobilien besitzen, werden durch die Inflation bessergestellt. Jene Haushalte, die nicht in dieser privilegierten Situation sind, werden abgehängt. Für sie wird es immer schwieriger, zum Rest der Gesellschaft aufzuschließen. Die soziale Mobilität nach oben leidet. 

In Deutschland kann man diese Entwicklung anhand des Verhältnisses der Vermögen zu den Gesamtjahreseinkommen dokumentieren. Seit dem Beginn der unkonventionellen Geldpolitik der EZB im Jahr 2010 begannen auch die Immobilienpreise in Deutschland überproportional zu steigen. Im Zuge dessen sind die Vermögen im Verhältnis zu den Einkommen gestiegen. Anfang der 2000er lag das Verhältnis noch bei 4,5. Die Gesamtvermögen, in Geld gemessen, waren also 4,5-mal so groß wie das Jahreseinkommen der deutschen Bevölkerung. Seither ist der Wert auf fast 6,3 gestiegen, nicht weil real mehr Vermögen im Verhältnis zum Einkommen geschaffen wurde, sondern weil die Preise der existierenden Vermögensgüter, allen voran der Immobilien, so stark gestiegen sind. 

Was bedeutet das? Je höher das Verhältnis der Vermögen zu den laufenden Einkommen ist, desto schwieriger gestaltet sich der soziale Aufstieg unter sonst gleichen Bedingungen. Stellen Sie sich eine junge Familie vor, die aus einfachen Verhältnissen kommt. Sie erbt kein nennenswertes Vermögen und erzielt ein durchschnittliches Einkommen. Bei einer Sparquote von zehn Prozent würde es 45 Jahre dauern, um auf das durchschnittliche gesellschaftliche Vermögensniveau zu gelangen – wenn das Verhältnis der Vermögen zu den Einkommen bei 4,5 liegt. Das ist nicht einfach, aber noch in einem Arbeitsleben realistisch zu schaffen. Wir nehmen bei dieser Rechnung an, dass jedes Jahr zehn Prozent des Einkommens auf die Seite gelegt werden und vom Wertverlust durch Inflation verschont bleiben.

Liegt das Verhältnis der Vermögen zu den Einkommen allerdings bei 6,3, wie es in Deutschland heute der Fall ist, dann dauert es ganze 63 Jahre, um das durchschnittliche Vermögensniveau zu erreichen. Das wiederum ist in einem normalen Arbeitsleben nicht zu schaffen. Man muss entweder ein überdurchschnittliches Einkommen erzielen oder übermäßig viel sparen und damit verstärkt auf Konsum verzichten, um zum gesellschaftlichen Durchschnitt aufschließen zu können. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, warum Existenzängste und die Gefühle des Abgehängtseins gerade unter jungen Menschen immer mehr weiter zunehmen. Mithin steigt der Verdruss über das System.  

Das System ist aber kein genuin marktwirtschaftliches. Die soziale Mobilität in Deutschland hat tatsächlich gelitten. Menschen werden zunehmend wirtschaftlich abgehängt. Aber das liegt nicht an ungebändigten Markkräften, sondern am geldpolitischen Interventionismus, der durch Inflation eine perverse Umverteilung von unten nach oben vorantreibt.      


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