06. Januar 2024 12:00

Ökonomik Mit Marx, Keynes und Piketty gegen die Inflation

Inflation als Quelle ungerechter Ungleichheit

von Karl-Friedrich Israel

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Bildquelle: Prazis Images / Shutterstock Soziale Folge von Inflation: Wachsende Ungleichheit

Was haben Karl Marx, John Maynard Keynes und Thomas Piketty gemeinsam? „Alles Sozialisten!“, würden jetzt sicher einige rufen. Das ist nicht ganz falsch (bei Keynes müsste man schon etwas nuancieren), aber warum sollte man sich immer auf die schlimmsten Eigenschaften von Personen konzentrieren? Nobody is perfect. Das wissen wir. Es gibt aber genauso wenig Personen, an denen nun partout nichts Gutes zu finden ist. So ist es auch mit Marx, Keynes, und Piketty. Alle drei haben zum Beispiel vereinzelt sehr kluge Gedanken zur Inflation formuliert. Dies möchte ich in den folgenden Zitaten illustrieren.  

Man muss zugeben, dass es äußerst schwer ist, bei Marx eine würdige Besprechung der Inflation zu finden. Sie ist als Phänomen im 19. Jahrhundert noch nicht von so großer Bedeutung wie bei Keynes im 20. und Piketty im 21. Jahrhundert. Aber dennoch hat Marx in seinen zahlreichen Analysen der Verteilungskämpfe zwischen Arbeiterklasse und Kapitalisten einen wichtigen Punkt unterstrichen: Kapitalisten können nicht nach Belieben die Verkaufspreise ihrer Produkte setzen, um so zum Beispiel auf gewerkschaftlich durchgesetzte Lohnerhöhungen zu reagieren. Damit antwortete Marx auf ein damals gängiges Argument gegen gewerkschaftliche Lohnerhöhungen: Zahlte man den Arbeitern höhere Löhne, würden die Kapitalisten einfach höhere Preise für ihre Waren verlangen. Höhere Löhne würden also zu Inflation führen, und am Ende hätten die Arbeiter nichts gewonnen. 

Marx hielt das zu Recht für Unsinn, auch wenn seine Analyse alles in allem fehlerhaft bleibt. Er verweist darauf, dass Lohnerhöhungen nicht die Ursache von Inflation sind, sondern dass Inflation den gewerkschaftlichen Kampf für Lohnerhöhungen umso bedeutsamer mache. Er schreibt im zweiten Band des „Kapitals“: „Wenn es in der Hand der kapitalistischen Produzenten stände, beliebig die Preise ihrer Waren zu erhöhn, so könnten und würden sie das tun auch ohne Steigen des Arbeitslohns. Die Kapitalistenklasse würde sich nie den Trade Unions widersetzen, da sie stets und unter allen Umständen tun könnte, was sie jetzt ausnahmsweis unter bestimmten, besondren, sozusagen lokalen Umständen, wirklich tut – nämlich jede Erhöhung des Arbeitslohns benutzen, um die Warenpreise in viel höherem Grade zu erhöhn, also größern Profit einzustecken. Der ganze Einwurf ist ein Schreckschuss der Kapitalisten und ihrer ökonomischen Sykophanten … Es wird nun die Wirkung mit der Ursache verwechselt. Der Arbeitslohn steigt (wenn auch selten und nur ausnahmsweis verhältnismäßig) mit dem steigenden Preis der notwendigen Lebensmittel. Sein Steigen ist Folge, nicht Ursache des Steigens der Warenpreise.“

Dieser Sicht zufolge versucht der Kampf um höhere Löhne den Schaden, der den Arbeitern aus Inflation entsteht, zu verringern. Marx würde natürlich noch viel weiter gehen. Auch ohne Inflation wäre der gewerkschaftliche Kampf um höhere Löhne richtig und wichtig, denn Arbeiter werden seiner Ansicht nach auch ohne Inflation innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise strukturell ausgebeutet. Hier liegt er falsch. Aber zumindest in Bezug auf inflationäre Geldentwertung hat er recht. Es sind insbesondere die Arbeitseinkommen, die unter ihr leiden. In seinem Pamphlet „Lohn, Preis und Profit“ fasst Marx es wie folgt zusammen: „Alle bisherige Geschichte beweist, dass, wann immer eine solche Entwertung des Geldes vor sich geht, die Kapitalisten sich diese Gelegenheit, den Arbeiter übers Ohr zu hauen, nicht entgehen lassen.“

Diese Zeilen sind durchtränkt von der Obsession des Klassenkampfes. Im Kontext der Inflation ist ein Funken Wahrheit dran. Man würde sich wünschen, dass Marx oder seine Anhänger, die es bis in die heutige Zeit gibt, mehr Zeit darauf verwendet hätten, den Zusammenhang zwischen Inflation und Ausbeutung zu erörtern. Eine „Inflationstheorie der Ausbeutung der Arbeiterklasse“ muss noch geschrieben werden. Marx hatte sie nur ganz rudimentär angedeutet.

Dass inflationäre Geldpolitik umverteilt, ist im 20. und 21. Jahrhundert noch viel deutlicher geworden. Diese Umverteilung kann ungerecht sein und sogar erheblichen gesellschaftlichen Schaden verursachen. Sie schadet nicht nur der Arbeiterklasse, sondern auch der Bourgeoisie. Dies erkannte unter anderen John Maynard Keynes.

Keynes, der als Vertreter des britischen Finanz- und Wirtschaftsministeriums an der Pariser Friedenskonferenz im Januar 1919 teilnahm, war nach den Verwüstungen des Ersten Weltkriegs darum bemüht, die Siegermächte davon zu überzeugen, Deutschland nicht unverhältnismäßig abzustrafen. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit Deutschland wäre nicht nur im Interesse Deutschlands, sondern ganz Europas und der Welt, einschließlich der Alliierten. Als Keynes erkannte, dass seine Ansichten bei den anderen Vertretern der Alliierten auf Abneigung stießen, trat er von seiner Funktion bei den Verhandlungen zurück. Der Vertrag von Versailles wurde im Juni 1919 unterzeichnet und bürdete Deutschland Strafen auf, die aus Keynes Sicht völlig über das Ziel hinausschossen.

Er wusste, in welch enger Verflechtung Inflationspolitik und Kriege stehen, und er ahnte, dass Deutschland die aufgebürdeten Reparationen nicht ohne Weiteres zahlen wird. Der Griff zur Notenpresse lag nahe und daher schwebte die Gefahr der Inflation über Deutschland wie ein Damoklesschwert. In seinem 1920 erschienenen Buch „The Economic Consequences of the Peace“ präsentierte Keynes sein Argument gegen den Vertrag von Versailles einem breiteren Publikum. Nicht wissend, wie verheerend die Inflation in den 1920er Jahren in der Weimarer Republik zuschlagen würde, warnte er vor den schlimmen Effekten der Inflation im Allgemeinen. Er schrieb: „Durch einen kontinuierlichen Inflationsprozess können Regierungen heimlich und unbemerkt einen großen Teil des Vermögens ihrer Bürger beschlagnahmen. Mit dieser Methode konfiszieren sie nicht nur, sondern sie konfiszieren willkürlich; und während der Prozess viele verarmt, bereichert er tatsächlich einige. Der Anblick dieser willkürlichen Umverteilung des Reichtums erschüttert nicht nur die Sicherheit, sondern auch das Vertrauen in die Gerechtigkeit der bestehenden Verteilung des Reichtums. Diejenigen, denen das System Gewinne beschert, die über ihre Verdienstmöglichkeiten und sogar über ihre Erwartungen oder Wünsche hinausgehen, werden zu ‚Profiteuren‘, die den Hass der Bourgeoisie, die durch die Inflationierung verarmt ist, nicht weniger als den des Proletariats auf sich ziehen. In dem Maße, wie die Inflation fortschreitet und der reale Wert der Währung von Monat zu Monat wild schwankt, werden alle dauerhaften Beziehungen zwischen Schuldnern und Gläubigern, die die eigentliche Grundlage des Kapitalismus bilden, so völlig durcheinandergebracht, dass sie fast bedeutungslos werden; und der Prozess der Vermögensbildung verkommt zu einem Glücksspiel und einer Lotterie“ (eigene Übersetzung).

Das Ideal der Marktwirtschaft als meritokratisches System wird durch Inflation untergraben. Wenn glückliche Umstände anstelle von harter Arbeit und Wertschöpfung zur Anhäufung von riesigen Vermögen führen, dann kann man kaum erwarten, dass Menschen ein solches System für gerecht und richtig halten. Unmut und Abneigung gegen das System werden geschürt.

Diese Tendenz wird sogar noch durch den Umstand verstärkt, dass es sich nicht wirklich um ein Glücksspiel mit gleichen Chancen handelt. Ob man als Sieger aus dem Spiel hervorgeht, hängt auch von der eigenen wirtschaftlichen Position ab. Wohlstand erhöht die Wahrscheinlichkeit, zu den Siegern zu gehören. Dies hat Thomas Piketty in seinem Hauptwerk „Le Capital au XXIe siècle“ in einer viel zu kurz geratenen Passage unterstrichen: „Wenn die Inflation jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg hoch bleibt, werden die Anleger versuchen, sich durch Investitionen in Sachwerte zu schützen. Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass die größten Vermögen oft diejenigen sind, die langfristig am besten indexiert und diversifiziert sind, während kleinere Vermögen – in der Regel Giro- oder Sparkonten – am stärksten von der Inflation betroffen sind“ (eigene Übersetzung).

Inflation verteilt also nicht einfach zufällig um. Es gibt strukturelle Umverteilungstendenzen, die dafür sorgen, dass die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft steigt. Dass diese Form der Ungleichheit als ungerecht empfunden wird, ist nur allzu verständlich. Marx, Keynes und Piketty haben wichtige Teilaspekte dieses Umverteilungsprozesses erkannt. Es bleibt aber anderen überlassen, darüber aufzuklären, dass dieser Prozess kein Auswuchs des reinen Kapitalismus ist. Inflation ist auf die politische Kontrolle über das Geld zurückzuführen. Nicht der Markt, sondern die Politik ist die Wurzel des Problems.  


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