27. Januar 2024 11:00

Ökonomik Warum will die Industrie reguliert werden?

Über die Vereinnahmung durch Regulierungsbehörden

von Karl-Friedrich Israel

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Bildquelle: Ntguilty / Shutterstock Eisenbahnwesen: Erste Industrie der USA, die im 19. Jahrhundert umfassend reguliert wurde

Es kommt immer wieder vor, dass erfolgreiche Unternehmer in florierenden Branchen nach staatlichen Regulierungen rufen. Das neueste prominente Beispiel ist Elon Musk, der sich mit großer öffentlicher Wirksamkeit über die vermeintlichen Gefahren der künstlichen Intelligenz äußert, die wir seiner Meinung nach ohne den Staat nicht überwinden können. Man hört auch von zahlreichen anderen Vertretern aus der KI-Branche Schauergeschichten. Die Risiken seien menschheitsgefährdend. Der Staat sei in der Pflicht, schnell und entschlossen im Sinne des Allgemeinwohls zu regulieren.  

Aber warum wollen Unternehmer und Industrielle, dass ihre eigene Branche staatlich reguliert wird? Warum wollen sie sich was vom Staat vorschreiben lassen? Wissen sie denn selbst nicht viel besser, was zu tun ist? Ist Regulierung nicht kontraproduktiv für das Erwirtschaften von Gewinnen? Wollen Unternehmer nicht möglichst unregulierte Märkte? Mitnichten. Unregulierte Märkte sind gerade den etablierten Platzhirschen ein Dorn im Auge. Insbesondere die erfolgreichen Unternehmen an der Spitze einer Branche haben es eigentlich viel lieber, wenn die bestehende Konkurrenz nicht einfach tun kann, was sie will, und wenn nicht alle Nase lang neue Konkurrenten auf den Markt drängen. Regulierungen eignen sich ganz hervorragend, um das zu erreichen.

Regulierungen werden eben meistens nicht im Sinne des Allgemeinwohls durchgeführt. Das geschieht bestenfalls dem Anschein nach. Sie dienen vielmehr dazu, die Dynamik und den Konkurrenzdruck aus dem Markt zu nehmen. Das kommt den Marktführern zugute, die dadurch einfacher ihre privilegierte Stellung behaupten können. In der Regel gilt, dass die Einhaltungskosten der Regulierung für kleinere Konkurrenten einen viel größeren Anteil an den Gesamtkosten ausmachen und deshalb schwerer zu stemmen sind. Sie erleiden einen Wettbewerbsnachteil und werden aus dem Markt gedrängt. Regulierung führt deshalb zur Monopolisierung von Branchen. Manchmal werden durch Regulierungen sogar explizit Monopolrechte an bestimmte Unternehmen vergeben.      

Das Phänomen der „regulatory capture“, also der Vereinnahmung der Regulierung durch die Industrie selbst, ist sehr weitverbreitet. Denn wenn sich der Staat dazu entschließt, einen bestimmten Bereich zu regulieren, braucht er natürlich entsprechendes Expertenwissen. Und woher kommt das? Natürlich aus der Industrie selbst. Die marktführenden Unternehmen werden bereitwillig mit Rat und Tat zur Seite stehen, um die Regulierungen auf den richtigen Weg zu bringen. Genau dazu organisiert man Lobbygruppen.

Die erste große Regulierungsbehörde in den USA war zum Beispiel die ICC, die Interstate Commerce Commission, die 1887 zur Regulierung der Eisenbahnindustrie gegründet wurde. In den Jahrzehnten nach dem Sezessionskrieg entstanden zahlreiche Trassen und die Eisenbahnindustrie florierte. Die Konkurrenz unter den zahlreichen Eisenbahnunternehmen war groß, sodass die Preise Jahr für Jahr zur Freude der Passagiere und Geschäftspartner sanken. Es gab aber verhältnismäßig mehr Angebote für Langstrecken und nur relativ wenige für Kurzstrecken, weshalb die Kurzstreckenpreise weniger stark sanken und verhältnismäßig hoch blieben. Dies wurde als ungerecht empfunden. Insbesondere Bauern, die ihre Produkte über kürzere Distanzen an ihre Kunden brachten, organisierten sich und verlangten, dass die Regierung die Eisenbahnindustrie zum Schutz der Kunden vor ungerechter Preisdiskriminierung reguliere. So wurde die ICC gegründet.

Natürlich erkannten die Eisenbahnunternehmen sofort das Potenzial, das sich aus einer solchen Regulierungsbehörde ergibt. Stabile Kartelle, um die Preise hochzuhalten, konnten die Eisenbahnunternehmen unter sich nicht bilden, da jedes einzelne Unternehmen starke Anreize hatte, aus dem Kartell auszubrechen. Man hatte es bereits versucht und war gescheitert. Es dauerte nie lange, bis ein Unternehmen den größten Kunden, wie zum Beispiel Rockefellers Standard Oil Company, heimlich günstigere Konditionen anbot. Die Konkurrenten fanden das schnell heraus und zogen nach. Kein freiwilliges Kartell ist in einem Konkurrenzmarkt stabil. Mithilfe einer staatlichen Regulierungsbehörde und dem damit einhergehenden Zwang ließen sich derartige Ziele jedoch erreichen. Der erste Leiter der ICC war dann auch ein gewisser Thomas Cooley, der bereits seit vielen Jahren Eisenbahnunternehmen als Anwalt vertreten hatte. Er betrieb eifrig Lobbyarbeit vor dem amerikanischen Kongress, um der ICC mehr gesetzliche Befugnisse zukommen zu lassen. Das Problem der Preisdiskriminierung bei kurzen und langen Strecken hat er ganz elegant gelöst, indem die günstigen Langstreckentarife gesetzlich verboten wurden. Es wurden außerdem bestimmte Routen unter den existierenden Eisenbahnunternehmen aufgeteilt und der Konkurrenzkampf wurde im Interesse der Unternehmen selbst erheblich reduziert. All das zum Schaden der Passagiere und Kunden. Aber immerhin wurde nicht mehr diskriminiert.

Über die Jahrzehnte wurde die Behörde mit immer mehr ehemaligen Mitarbeitern aus der Eisenbahnindustrie besetzt, damit man sichergehen konnte, dass weiterhin im Sinne der Industrie selbst reguliert wird. In den 1920er Jahren etwa kam eine existenzielle Bedrohung für die Eisenbahnindustrie auf: das Fernverkehrsgewerbe. Die ICC machte sich schnell daran, diese Branche unter ihre Regulierungsbestrebungen zu zwängen. Dies gelang ihr auch spätestens mit dem Motor Carrier Act aus den 1930er Jahren. Man machte mit der Fernverkehrsindustrie genau das, was man einige Jahrzehnte zuvor mit der Eisenbahnindustrie gemacht hatte. Man formte ein regulatorisch erzwungenes Kartell, teilte Routen unter bestimmten Unternehmen auf und hielt die Preise künstlich hoch. Dies gelang nicht zuletzt auch durch Blockierung des Markteintritts. Die ICC konnte durchsetzen, dass Fernverkehrsunternehmen eine „Bescheinigung über die öffentliche Zweckmäßigkeit“ beantragen mussten. Diese Lizenzen wurden naturgemäß nicht jedem dahergelaufenen Bewerber ausgestellt. Laut Milton und Rose Friedman wurden nicht einmal ein Drittel der Anfragen genehmigt.

Im Jahr 1995 wurde die ICC dann endlich abgeschafft. Der Regulierungsspuk hat damit kein Ende gefunden. Ganz im Gegenteil, es lassen sich unzählige weitere Beispiele finden, die alle dem gleichen Muster folgen. Milton und Rose Friedman haben dieses Muster die „natürliche Geschichte der Staatsintervention“ genannt. Sie beschreiben es so: „Ein reales oder eingebildetes Übel führt zu Forderungen, etwas dagegen zu unternehmen. Es bildet sich eine politische Koalition aus aufrichtigen, hochgesinnten Reformern und ebenso aufrichtigen Interessengruppen. Die unvereinbaren Ziele der Mitglieder der Koalition (zum Beispiel niedrige Preise für die Verbraucher und hohe Preise für die Erzeuger) werden durch schöne Reden über „das öffentliche Interesse“, „fairen Wettbewerb“ und dergleichen beschönigt. Der Koalition gelingt es, den Kongress (oder eine staatliche Legislative) dazu zu bringen, ein Gesetz zu erlassen. Die Präambel des Gesetzes ist ein rhetorisches Lippenbekenntnis zur identifizierten Problematik, und der Hauptteil des Gesetzes gibt den Regierungsbeamten die Befugnis, „etwas dagegen zu tun“. Die hochgesinnten Reformer erleben ein Glühen des Triumphs und wenden ihre Aufmerksamkeit neuen Dingen zu. Die interessierten Parteien [das heißt Lobbygruppen] machen sich an die Arbeit, um sicherzustellen, dass die politische Macht zu ihrem Vorteil eingesetzt wird. Das gelingt ihnen in der Regel.“

Die vermeintlichen Probleme, die heute im Bereich der künstlichen Intelligenz identifiziert werden, sind zahlreich. Hochgesinnte Reformer und Interessengruppen sortieren sich gerade eifrig. Es wird interessant werden zu beobachten, welche Regulierungen man sich zum Schutze der etablierten Unternehmen und zulasten der Nutzer einfallen lässt. Es steht ja nicht weniger als das Überleben der Menschheit auf dem Spiel. Da sollte die eine oder andere Regulierung schon drin sein. 

Milton und Rose Friedman: Free to Choose.  


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