14. März 2024 07:00

Landesverteidigung Gäbe es ohne allgemeine Wehrpflicht keine Verteidigung?

Vor- und Nachteile der (Schweizer) Militärdienstpflicht

von Olivier Kessler

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Bildquelle: Capricorn Studio / Shutterstock Militärdienst in der Schweiz: Dauert in der Regel vom 18. bis 30. Lebensjahr

Die Wehrpflicht ist aus liberaler Perspektive aus mehreren Gründen problematisch. Erstens ist sie ein massiver Eingriff in die Freiheit und die Selbstbestimmung junger Männer. Es handelt sich de facto um staatlich verordnete Zwangsarbeit, der man sich nicht schadlos entziehen kann. Entweder man weicht in einen verlängerten Zwangsarbeitsdienst unter dem Dach des Zivildiensts aus oder aber man hat Jahr für Jahr eine Wehrpflichtersatzabgabe zu leisten.

Zweitens ist die Wehrpflicht aus liberaler Optik auch deshalb schwierig zu verteidigen, weil sie gegen den elementaren Grundsatz der Gleichberechtigung aller Menschen vor dem Gesetz verstößt. Die Wehrpflicht schafft eine schwerwiegende Diskriminierung von jungen Männern, die dem Arbeitsmarkt aufgrund der mehrere Monate dauernden Rekrutenschule und der jährlichen Wiederholungskurse für eine nicht unbedeutende Zeit entzogen werden. Die Betroffenen erfahren dadurch gegenüber Nicht-Wehrpflichten einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsnachteil.

Drittens führt die Monopolisierung in den Händen des Staates und der somit fehlende Wettbewerb zu einer strukturellen Anpassungsunfähigkeit gegenüber aktuellen Entwicklungen und Bedrohungen. Die Armee muss sich mangels Alternativen nicht gegenüber den Kunden beweisen, worunter die Qualität leidet. Auch muss sie sich auf dem Arbeitsmarkt nicht durch gute Konditionen und attraktive Angebote bemühen, weil ihr ohnehin durch staatlich verordneten Arbeitszwang das nötige Personal zur Verfügung gestellt wird. Damit werden nicht zuletzt jedes Jahr eine Unmenge Steuergelder für fragwürdige Zwecke und Übungen eingesetzt, die nur bestehen, weil das System die vielen eingerückten Männer irgendwie beschäftigen muss.

Was noch dazu kommt: Die Milizarmee dient heute nicht mehr einzig der Landesverteidigung, sondern kommt immer mehr bei Freizeitaktivitäten wie etwa Sportveranstaltungen oder bei internationalen Zusammenkünften zum Einsatz. Das heißt, das Militär übernimmt die Funktion von privaten Sicherheitskräften und nimmt diesen die Arbeit weg.

Es darf zudem bezweifelt werden, ob bei den kurzzeitig dienenden Wehrpflichtigen die nötige Expertise und das erforderliche Know-how vorhanden sind, um den immer komplexeren Aufgaben der Verteidigung gerecht zu werden. Vielmehr bräuchte es im Zeitalter, in dem man sich zunehmend von der Idee des Massenheers verabschiedet und technischer Fortschritt voranschreitet, gut ausgebildete Spezialisten, welche die entsprechenden Geräte, Maschinen und Waffensysteme im Handumdrehen bedienen können und nicht zuerst noch die Bedienungsanleitung aufschlagen müssen.

Hinzu kommen wirtschaftliche Schäden des Zwangsdienstes: Die Wehrpflicht entzieht junge Erwachsene dem Arbeitsmarkt und verringert dadurch die Lebensarbeitszeit. Während der Zeit, in der sie sich in der Rekrutenschule oberflächliches Wissen aneignen und einen gewichtigen Teil ihrer Zeit dort mit Warten, Herumsitzen und Kartenspielen vertreiben, sind sie unproduktiv. Gäbe es die Wehrpflicht nicht, hätten sie ihre kostbare Zeit einer sinnvolleren produktiven Betätigung widmen und für ihre Mitmenschen nützliche Produkte und Dienstleistungen (durchaus auch im Bereich der Sicherheit) anbieten können, welche die Lebensqualität aller erhöht hätten.

Zusätzlich stellt die Wehrpflicht einen Standortnachteil gegenüber Ländern dar, in denen es keine Wehrpflicht mehr gibt. Unternehmen dürften bei der Auswahl zwischen zwei gleichaltrigen jungen Erwachsenen dazu tendieren, jenen anzustellen, der über eine längere Arbeitserfahrung verfügt.

In der Realität sagen sich auch immer mehr Länder vom Prinzip der Wehrpflicht los. Eine überwiegende Mehrheit der Nato-Länder haben ihr Militär in Freiwilligenarmeen umgewandelt, ohne dass es dort zum Sicherheitskollaps oder zu einer Militärdiktatur gekommen wäre.

Doch was ist mit dem Trittbrettfahrer-Problem? Dieses ist kein Argument zur Verknechtung der Hälfte der Gesellschaft. Überall, wo Menschen miteinander interagieren, entstehen positive und negative Externalitäten, die nicht „internalisiert“ werden. Wenn dies das Kriterium für eine Verstaatlichung einer gewissen Dienstleistung wäre, dann müsste man in Anbetracht der Omnipräsenz solcher Effekte nahezu die ganze Welt verstaatlichen – mit schrecklichen Folgen. Dem Auftreten des Trittbrettfahrer-Phänomens wirken bereits Marktmechanismen wie Preise entgegen. Es existieren genügend Anreize zur Investition in die Sicherheit – ganz zu schweigen davon, dass Sicherheit ein Grundbedürfnis der Menschen ist und es immer eine entsprechende Nachfrage danach geben wird.

Es stellt sich daher die Frage, ob es keine besseren Alternativen zur Gewährleistung der äußeren Sicherheit gibt. In der Tat ist es zweifelhaft, ob eine staatlich organisierte Berufsarmee tatsächlich die bessere Alternative wäre. Argumente wie die Professionalität sprechen dafür, das Milizprinzip eher dagegen.

Glücklicherweise stellt eine staatliche Berufsarmee nicht die einzige Alternative zur Wehrpflicht dar. Denkbar ist beispielsweise eine besser fokussierte freiwillige Milizarmee. In den USA gelang die Umstellung auf eine freiwillige Armee 1973 unter anderem durch das Eintreten für ein freiwilliges System durch den späteren Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman. Friedman bezeichnete die Abschaffung der Wehrpflicht einst als „meine wichtigste Leistung im Bereich der Politik“. Anders als Friedman, der eine Ersetzung der Wehrpflicht durch eine freiwillige Berufsarmee forderte, wäre wohl eine Umstellung auf eine freiwillige Milizarmee vorteilhafter. Die Schweiz braucht keine großen stehenden Truppen, sondern vielmehr mobilisierbare Truppen.

Eine freiwillige Milizarmee führt – wie Erkenntnisse aus der Motivationsforschung zeigen – zu einer höheren Motivation bei den Partizipierenden. Weil eine freiwillige Milizarmee wesentlich mehr motivierte Mitglieder hätte als die aktuelle Armee, würde dies zudem die Führbarkeit erleichtern. Die Sorge, dass sich für eine freiwillige Milizarmee zu wenige Freiwillige finden ließen, ist insofern unbegründet, als dies lediglich eine Frage der Höhe des Lohns zu sein scheint.

Die Aufhebung der Wehrpflicht würde daher tendenziell zu einer besseren Sicherheitslage und zu tieferen Kosten führen sowie enorme personelle und finanzielle Ressourcen freisetzen, die für sinnvollere Zwecke eingesetzt werden könnten.


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